11.10.2009

Alles steht auf Plus

Wilfried Schmickler schürfte im politischen Fegefeuer




Es gebe wohl nicht allzu viel, worum Kölner die Windecker beneiden, aber so ein Publikum und ein solches Engagement wie das der Ehrenamtlichen vom Herchener Matineeverein könne sich der Kölner nur wünschen. Dieses Lob von Polit-Kabarettist Wilfried Schmickler kam sichtlich von Herzen, nachdem er zwei Stunden lang mit "Es war nicht alles schlecht" - 30 Jahre Kabarett - den politischen Poltergeist im Haus des Gastes gegeben hatte. Um seinen bissig-schmerzhaften Charme wissend, hatte der Matineeverein hinter den Kulissen vorsorglich dem Künstler jeden Wunsch von den Augen abgelesen.
Beruhigen konnte Schmickler diese Liebesbeweise allerdings nicht, denn er steht seit der Bundestagswahl unter Druck. "Ich bin ins kulturelle Herzen des Windecker Ländchens gekommen, um ordentlich Dampf abzulassen", posaunte er mit Teufelchen in den Augen heraus. Zu Schaffen machte ihm seine Wahlschlappe, nachdem die kleinen Schwarzen und die große Gelbe das Geschick für die Republik in der Hand haben. Als FDP-Wähler wagte sich folglich aus den Zuschauerreihen niemand zu outen, freie Bahn für Schmickler sich für durchkreuzte Wahlprognosen zu rächen. Kurz zeigte lüftete er seine gelben Socken unter den Hosenbeinen seines schwarzen Anzugs, dann blies er zur Attacke. Im Mittelpunkt stand Lieblingsopfer Guido Westerwelle, der sich einst im Gagamobil zum Affen machte. "Wen kennen Sie außer Westerwelle aus der FDP?" Wundern durfte man sich über die Stille im Saal nicht. "Graf von Rotz (Lambsdorff) und Möllemann, der alte Todesflyer" sind längst passé. Doch die schwarz-gelbe Jobmaschine wird nun angeworfen. Schmickler beantwortete sie mit einer verbalen Ohrfeige, indem er Berufsgruppen aus den Sozialberufen, als die wahren Trümmerfrauen - und männer im Publikum einzeln begrüßte.
"Deutschland ist in der Hand von skrupellosen Verbrechern", jappste er voller Qual, seinem Triebmittel zum Rundumschlag durch die politische Szene. Da nützen auch Männer von Format eines Horst Köhler nichts, der sich mit der Grundgrimasse Lächeln, als rhetorischer Weitwerfer gibt. Schwarz ärgert sich der Künstler über den Neuling mit den vielen Vornamen, Freiherr von und zu Guttenberg: "Der Schnösel, der mit 37 Jahren noch zuhause wohnt und reden kann, was will, ohne dass es seiner Beliebtheit Abbruch tut." Weggefegt wurden auch die "Zeichen der Hoffnung" in einer Gesellschaft, die nur Wachstum kennt, und in der alles auf Plus steht: die Altersarmut, das Ozonloch, die Zahl der Arbeitslosen" . "Von wegen Aufschwung, bevor er kommt ist er immer schon vorbei." Wie die Faust im Gesicht prallt Schmicklers Poesie auf die Wirklichkeit: "Schlaraffenland ist abgebrannt, wo Kirschblütenhonig floss werden letzte Billyregale verbrannt. Ein ganzes Volk ertrinkt im Angstschweiß." Nur die Stricke sind bei Krankenkassen noch kostenlos zu haben, während Schwerverletzte die Krankenhäuser verlassen vorfinden: "Alle kämpfen gegen alle, jeder nur für sich!" "Es war nicht alles schlecht, es war noch schlechter", entreißt der Träger des Deutschen Kleinkunstpreises und des Deutschen Kabarettpreises ewig Gestrigen beim Rückblick die rosa Brille. "Vor 30 Jahren standen Leute wie Westerwelle, Pofalla und Röttgen alleine auf Schulhof. Hätten wir gewusst wohin das führt, hätten wir sie mitspielen lassen."

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